Interview mit Sarah Schroeder zu agilen Organisationen

„Der Wandel hin zu agilen Organisationen bzw. zu einem agilen Unternehmen ist eine der größten, wenn nicht sogar die größte Herausforderung für das Management von Finanzdienstleistern.“ Das ist eine der Kernthesen einer zeb-Studie zum Thema Agilität.

Aber was ist unter agilen Organisationen zu verstehen? Sind alle Unternehmen und Geschäftsmodelle gleichermaßen geeignet, hin zu einer agilen Organisation transformiert zu werden? Gibt es Empfehlungen, die „für alle“ gelten? Und was sind aktuelle Erfahrungen aus der Praxis? Antworten auf diese Fragen gibt Senior Managerin Sarah Schroeder. 

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In welchen Fällen kann man von einer agilen Organisation bzw. einem agilen Unternehmen reden?

Es gibt keinen Schalter, der umgelegt wird, und dann ist ein hierarchisches Unternehmen plötzlich eine agile Organisation. Vielmehr ist der Wandel hin zu einer agilen Organisation ein Prozess mit individuellem Start- und Zielpunkt für jedes Unternehmen. Dabei beginnt der Weg in der aktuellen Praxis häufig mit der Durchführung von agilen Projekten. In Unternehmen, in denen ein agiles Projektmanagement kultiviert wird, entwickelt sich dieser Spirit weiter in die gesamte Organisation hinein.

Ist eine 100-prozentig agile Bank denkbar?

Auch hier ist gibt es kein Schwarz-Weiß: Agile Projekte sind längst weit verbreitet. Es gibt bereits auch Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister mit agilen Strukturen in der Linientätigkeit. Bei anderen gibt es zwar agile Organisationseinheiten, aber keine Arbeit in Sprints, also sich wiederholenden Zeitabschnitten von drei oder vier Wochen, in denen spezifische Aufgaben bearbeitet werden. Und es gibt Banken, die ihre Organisationseinheiten schon heute in unterschiedliche Agilitätsklassen eingeteilt haben – ein interessanter Ansatz. 

Bei aller Unterschiedlichkeit: Gibt es auch Gemeinsamkeiten?

Die größte Überlappung besteht im Mindset. In agilen Organisationen überlegen die Mitarbeitenden viel stärker, wie sie sich für ein besseres Unternehmen einbringen können, und werden hier auch entsprechend aktiv. Hierfür werden in diesen Organisationen neue Prozesse und Strukturen geschaffen. Es gibt sehr viel Potenzial, das aktuell nicht gehoben wird. In den Organisationen schlummern viele gute Ideen, Engagement und Motivation von vielen Mitarbeitenden. Dabei wäre es leicht, Innovationen zu fördern. Je mehr ich an Freiräumen gebe, desto mehr Potenzial kann sich entfalten. Und damit würden auch Motivation und Leistungsfähigkeit gesteigert. 

Woran scheitert es, dass dieses Potenzial aktuell noch nicht gehoben wird?

Ein großes Hindernis ist, wenn das Management keinen Rückhalt gibt. Wenn die Entscheidungsträger:innen eigentlich klassisches Projektmanagement haben wollen, es aber agil etikettieren, weil das gerade in Mode ist. Der zweite Showstopper ist zu wenig Zeit: Die Mitarbeit in agilen Projekten wird von Mitarbeitenden oftmals „on top“ zur Linientätigkeit erledigt. Ab dem Kick-off merken diese dann, dass die oftmals intensive Mitarbeit in einem agilen Projekt nicht einfach nebenher zu machen ist. Das schafft Frustration und trägt wenig zu guten Ergebnissen bei. An dritter Stelle ist die noch oft unzureichende Kompetenz in agilen Methoden zu nennen. Hier hat sich zwar schon viel getan, aber es gibt noch Luft nach oben. Und insgesamt würde ich mich freuen, wenn man manchmal mutiger wäre.

Sind bei den Hindernissen Unterschiede zu erkennen, etwa nach Größe der Kunden?

Ehrliche Antwort: Interessanterweise gibt es da kaum Unterschiede. Ob klein oder groß, Regional- oder Investmentbank, Versicherung oder Spezialanbieter – Treiber, Erfolgsfaktoren und Hindernisse sind sehr vergleichbar. Lediglich die Unterschiede in den durch die agilen Teams verantworteten Budgets seien hier zu erwähnen. Auch beim Mindset sind kaum Unterschiede festzustellen; Hierarchie- oder Senioritätsebene im Unternehmen spielt da weniger eine Rolle. Je nach Hierarchieebene ändert sich der Grad der Konkretisierung von Anforderungen; Vorstände wünschen sich häufig, einfach mal etwas anders zu machen. Die eher umsetzungsstarken Einheiten in der Organisation sind dann mit den praktischen Fragen konfrontiert: Welche Ressourcen stehen zur Verfügung, welche Tools werden genutzt …?

Werden künftig alle Organisationen mehr oder weniger agil sein?

Agilität ist kein Trend, es ist die Zukunft. Warum? Es wird immer wichtiger, kundenzentriert zu arbeiten. Projekte werden zunehmend komplexer. Da ist es im Wettbewerb unabdingbar, agiler zu agieren. Man ist sonst nicht flexibel genug, auch im Hinblick auf Ressourcen und Budget. Bereits heute sind Unternehmen mit agilen Strukturen erfolgreicher, und da hat der Wandel oftmals gerade erst begonnen. Wir werden das in zehn Jahren vielleicht nicht mehr als Agilität bezeichnen, weil es dann einfach normal ist.

Welche Rolle spielen die Führungskräfte?

Schon heute steht und fällt der Wandel zur agilen Organisation mit den Führungskräften, deren Mindset, Vision, Mut und Flexibilität. Ein:e Mitarbeiter:in merkt mir als Führungskraft sofort an, wie ernst ich es damit meine, Dinge zukünftig anders zu machen. Und eines ist noch wichtiger als früher – sicherlich eine Folge der zunehmenden Unsicherheit und fehlender Planbarkeit in vielen Organisationen: nämlich, dass Führungskräfte an Taten gemessen werden, nicht an Worten. Sonst ist aufgebautes Vertrauen schnell verspielt. Egal, wie agil wir denken. Als Führungskraft musst du liefern – heute mehr denn je.

Mehr zum Thema „Agiles Projektmanagement“ lesen Sie in einem weiteren Interview mit Sarah Schroeder.

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„Agilität ist kein Trend. Agile Unternehmen sind einfach erfolgreicher.“