Fachkräftemangel: Warum Quereinsteigende für Finanzdienstleister unverzichtbar werden

Interview mit Christian von Schirach, Senior Manager, zeb

 

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Der Fachkräftemangel ist für Finanzdienstleister DAS Thema in diesem Jahr – und dabei werden die Herausforderungen in den kommenden Jahren noch drastisch zunehmen. Mitarbeitende zu gewinnen, wird immer schwieriger. Was liegt da näher, als die eigenen Anforderungen zu hinterfragen und anschließend die gesuchten Zielgruppen zu erweitern? 

Immer mehr Finanzdienstleister öffnen sich daher auch für Menschen, die nicht aus der Banken- bzw. Versicherungsbranche kommen. Vom Busfahrer bis zur DM-Verkäuferin ist fast alles dabei. Von unserem Experten Christian von Schirach erfahren wir mehr zu den Hinter- und Beweggründen dieses Trends und was er Finanzdienstleistern jetzt empfehlen würde. 

 

Frage: Herr von Schirach, warum öffnen sich Finanzdienstleister zunehmend für Quereinsteigende?

Christian von Schirach: Das Thema Quereinstieg wird meiner Wahrnehmung nach mindestens bei jedem zweiten Finanzdienstleister diskutiert. Der üblicherweise hohe Altersdurchschnitt in diesen Organisationen führt absehbar zu einem erheblichen Nachbesetzungsbedarf.

Gleichzeitig sehen wir überall, dass die Frühfluktuation, also die Fluktuation in den ersten 3–4 Jahren der Betriebszugehörigkeit, auf deutlich über 10 % steigt. Sinkt parallel auch noch die Verfügbarkeit von Arbeitskräften am Markt ist es nur konsequent und klug, den Horizont der Personalsuche zu erweitern.

 

Frage: Welche Stärken können Quereinsteigende für Finanzdienstleister mitbringen, wenn sie doch nicht über die üblichen Ausbildungsgänge verfügen?

Christian von Schirach: Löst man sich von den klassischen fachlichen Kompetenzen steht sicher exemplarisch eine Kompetenz bei Banken, aber auch bei Versicherern in vielen Funktionen im Zentrum: Die Serviceorientierung.

Durch Service können sich die Unternehmen von digitalen Geschäftsmodellen abgrenzen. Exzellenter Service bleibt also unverändert ein Erfolgsfaktor. Ein hohes Maß an Serviceorientierung (aufbauend auf exzellenten Ausbildungsgängen) findet man jedoch in vielen Branchen, beispielsweise im Tourismus, in ausgewählten Geschäftsfeldern des Einzelhandels oder im Gesundheitswesen.

Hinter diesem Aspekt steckt also noch ein weiterer Punkt: So wie man bei der Stellenbesetzung ausgesuchte Zielgruppen möglichst konkret anspricht, so sollte man auch bei der Stellenbesetzung durch Quereinsteigende sehr genau die „Quellbranchen“ der potenziellen Kandidat:innen suchen.

Christian von Schirach
„Wer den Fachkräftemangel lösen möchte, muss den Blick für Quereinsteiger aus anderen Branchen öffnen.“

Christian von Schirach, Senior Manager, zeb 

Frage: Wann sollte ein Unternehmen Quereinsteigende in Betracht ziehen und welche Voraussetzungen sind dann zu schaffen?

Christian von Schirach: Über Quereinsteigende sollte bei Funktionen nachgedacht werden, in denen eine relevante Anzahl von Mitarbeitenden im Unternehmen beschäftigt sind und bei denen auch mittelfristig ein kontinuierlicher Bedarf neuer Personalkapazitäten absehbar ist.

Darüber hinaus scheint sich hinsichtlich der Qualifizierungsdauer eine Grenze abzuzeichnen. Gelingt es nicht, Quereinsteigende innerhalb von sechs Monaten für die entsprechenden Funktionen zu qualifizieren, also umzuschulen, eignen sich diese Funktionen nicht für den Quereinstieg.

Sind diese Funktionen definiert, lohnt es sich, kompakte und sehr fachspezifische Qualifizierungsprogramme aufzusetzen, durch die Quereinsteigende eine scharf geschnittene fachliche Kompetenz erwerben können.

Zuletzt erfolgt dann die aktive Ansprache von Kandidat:innen in den ausgewählten Branchen – beispielsweise über die sozialen Medien.

 

Frage: Das Image der Finanzdienstleistung hat in den letzten Jahren gelitten. Wie begeistere ich vor diesem Hintergrund Quereinsteigende für einen Einstieg in diese Branche?

Christian von Schirach: Auch in Zeiten des Fachkräftemangels kommt es z. B. in größeren Unternehmen immer wieder zu Personalabbauprogrammen. Hier bietet die Finanzdienstleistung mit hoher Arbeitsplatzsicherheit, attraktiver Vergütung und guten Arbeitsbedingungen oftmals eine ausgesprochen attraktive Alternative. Es lohnt sich also, in der Region des Finanzdienstleisters wachsam zu sein und insbesondere Abbauprogramme in anderen Branchen im Blick zu haben.

 

Fazit: Die demografischen Daten und die daraus resultierenden Entwicklungen sind unausweichlich. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung, dass durch Digitalisierung zwar einerseits Arbeitskräfte eingespart werden können. Andererseits entstehen aber auch neue Funktionen, um die Digitalisierung voranzutreiben und neue digitale Geschäftsmodelle zu betreiben.

Die Digitalisierung wird also bestenfalls die demografischen Entwicklungen abfedern können. Vor diesem Hintergrund gibt es keine Alternative: Die Personalbeschaffung muss sich neu erfinden und auch auf kreative und aktive Initiativen setzen, um dauerhaft den Personalbedarf zu decken. Die Gewinnung von Quereinsteigenden ist hier oftmals eine gute Option.