Erfolgsfaktoren für den medialen Vertrieb. Ein Expertengespräch

Immer weniger Kunden sehen ihre Sparkasse oder Bank von innen. Nicht einmal mehr die Hälfte besucht regelmäßig eine Filiale. Der Kontakt erfolgt zunehmend digital. Kundenservicecenter (KSC) und digitale Beratungscenter (DBC) erhalten eine immer größere Bedeutung. Wo hier Chancen und auch Grenzen liegen, welche Faktoren zum Erfolg führen – darüber sprach Senior Managerin Sarah Schroeder mit den Experten Danae Mitze und Michael Kerpes. 

Medialer Vertrieb

Betrachtet man die mediale Beratung auf einem Zeitstrahl – welche Bedeutung hatte und hat sie? Wie geht es weiter?

Mitze: Gefühlt gibt es die mediale Beratung schon lange. Aber tatsächlich haben sie viele Banken und Sparkassen noch gar nicht im Angebot oder sie sind gerade erst dabei, sie wirklich zu etablieren. Die Coronapandemie hat die Entwicklung der medialen Beratung deutlich beschleunigt. Hierbei lag der Fokus zuerst auf der Telefonberatung, welche ganz selbstverständlich wurde. Diesen Trend haben wir aufgegriffen und sind mit der Einführung des digitalen Beratungscenters und der damit verbundenen Videoberatung noch stärker auf die Kundenbedürfnisse eingegangen. Unter dem Slogan „Digital vernetzt und menschlich verbunden“ wollen wir unsere Kunden medial, aber auch mit unserer Persönlichkeit begeistern.

Eine Bildübertragung und ein Slogan alleine machen aber noch lange keine gelungene mediale Beratung aus. Im Unterschied zur telefonischen Beratung werden in der medialen Beratung zusätzlich noch andere Medien und Tools für die Visualisierung und Gesprächsbegleitung genutzt. Gerade bei fehlender räumlicher Nähe kann durch eine Videoberatung eine sehr angenehme und vertraute Gesprächsatmosphäre entstehen. In der Praxis erleben wir es, dass uns unsere Kunden in einer Videoberatung auch mit in ihre Alltagssituationen nehmen, wie z. B. zum Abendessen mit der Familie. Dadurch kann eine sehr persönliche Beratung entstehen. Insgesamt empfinden die Kunden ein solches Gespräch als kurzweilig, informativ und im besten Fall abwechslungsreich.

Wird der mediale Vertrieb, der bisher ein Schattendasein führte, nun zum Vorbild?

Mitze: Sicherlich hat der mediale Vertrieb eine Vorreiterrolle und bietet somit einen Lerneffekt für alle.

Zum Kundenservicecenter, dem KSC: Welche Entwicklungen gibt es dort?

Kerpes: Früher wurde gerne das Wort „Telefonzentrale“ benutzt. So habe ich bei meinem ersten KSC begonnen: kleines Büro mit kleinen Fenstern und alten Möbeln, vier Mitarbeitende, die anrufenden Kunden Auskunft dazu gaben, welche Beraterin oder welcher Berater verfügbar war. Wir haben dann gemeinsam mit dem stationären Vertrieb Prozesse definiert und beschrieben, die in einem KSC schneller und effizienter als vor Ort bearbeitet werden können, uns Legitimationskriterien zur sicheren Identifikation der Anrufenden überlegt und letztlich gemeinsam mit der Finanz Informatik, also dem Sparkassen-IT-Dienstleister, die technische Umsetzung gestartet.

Der Start war holprig, aber nach und nach konnten wir unsere Akzeptanz in der Bank steigern, da die Entlastung der Filialen schnell spürbar wurde und die Kunden das Angebot super angenommen haben. So sind mit der Zeit viele geeignete Prozesse zu uns gewandert. Zusammengefasst: Eine passende Lösung wird meiner Erfahrung nach immer gemeinsam mit dem stationären Vertrieb entwickelt. So verstehen sich alle als Team und arbeiten mit- statt gegeneinander.

Und wie steht es aktuell um die Bedeutung des KSC?

Kerpes: Durch das Thema „Vertriebsstrategie der Zukunft“ hat der Bereich KSC bei den Sparkassen noch einmal zusätzlichen Rückenwind erhalten. Die Beratungskapazitäten im Vertrieb wurden stärker mit bestimmtem Segmentfokus ausgerichtet. Bei wenig beratungsintensiven Segmenten soll das KSC eine möglichst effiziente, kostengünstige und schnelle Lösung für Kundenanfragen bieten – am besten ein Angebot von 8 bis 20 Uhr. 

So wurde das KSC zum Nukleus der Multikanalentwicklung, einer Art Prototyp mit medial geschulten Mitarbeitenden, wie sie später überall, also auch in den Filialen, zu finden sein sollen, um den Kunden möglichst auf allen Kanälen begegnen zu können. Ergänzt wurde dieses Angebot durch zunehmend wachsende Selfservice-Lösungen im Onlinebanking, Kommunikation via WhatsApp oder Textchat und weitere technische Innovationen. Das ganze Thema nahm gewaltig Fahrt auf und war längst aus seiner Nische herausgetreten. Plötzlich wollten alle „KSC machen“.

Merkt der Kunde denn dann noch einen Unterschied zwischen der medialen Beratung im digitalen Beratungscenter und dem Kundenservicecenter?

Kerpes: Es kommt tatsächlich ganz darauf an. Aus Sicht der Bank gibt es hier natürlich einen Unterschied. Aus Sicht der Kunden nicht unbedingt. Serviceanfragen beispielsweise zum Onlinebanking kann der Kunde heute wie auch in Zukunft an beiden Stellen klären. Geht es um eine umfassendere Beratung, dann ist ein KSC dazu da, die Kunden zur richtigen Stelle zu leiten – zum digitalen Beratungscenter, zum Businesscenter und zum stationären Vertrieb. Das aktive Miteinander ist wichtig und auch die klare Trennung: Die Systeme bauen aufeinander auf, und KSC ist das Fundament. Effizienz bei den Serviceanliegen und ordentliche Beratung stehen in einem Spannungsverhältnis. Um bei beiden eine hohe Qualität zu erzielen, muss man sie trennen.

Den Kunden muss dies erläutert werden, beispielsweise damit, dass Kolleginnen und Kollegen im DBC zusätzliche technische Tools nutzen können oder grundsätzlich mehr Zeit für eine Beratung einplanen. Eines ist aber sowohl beim Service als auch in der Beratung wichtig: Wenn es um Effizienz und mediale Abwickelbarkeit geht, heißt es Standard, Standard, Standard – also ein Lösen vom Bild der Sparkasse als Erfüllerin jeglicher Wünsche.

Was sind die drei wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche mediale Beratung und ein erfolgreiches KSC?

Mitze: Unser Anspruch ist es, die hohe Beratungsqualität, die wir bieten, auch medial erlebbar zu machen. Wir müssen die Kunden begeistern, abholen und mitnehmen. Sie müssen erfahren, dass die Beratung einen Mehrwert schafft. Das gilt sowohl für den stationären Vertrieb als auch für die mediale Beratung. Wichtig ist hierbei, Komplexität und Fachjargon herauszunehmen und die Kundenreise spürbar zu machen. Das fängt bei der positiven Einstellung des Beraters bzw. der Beraterin an. Eine Beratung funktioniert nur, wenn es gelingt, authentisch zu sein und einen Draht zum Kunden aufzubauen. Es muss einen gefühlten „perfect match“ geben, Berater:in und Kunde müssen miteinander harmonieren.

Der erste Punkt ist also die Kundenreise – was der zweite?

Mitze: Der zweite Erfolgsfaktor sind die Prozesse. Es geht leider nicht immer komplett ohne Unterschrift. Dabei gibt es bereits sehr gute digitale Lösungen. Wir müssen uns letztlich aber darüber im Klaren sein, dass auch wir die regulatorischen Anforderungen einhalten müssen. Und dennoch: Auch Prozesse müssen medial erlebbar sein, und zwar aus Kundensicht – nicht am einfachsten für die Mitarbeitenden, sondern für die Kunden.

Erfolgsfaktor Nummer drei?

Mitze: Der dritte Erfolgsfaktor sind fortwährende Schulungen der Mitarbeitenden. Zudem müssen wir uns immer wieder Feedback bei unseren Kunden einholen, um so festzustellen, was die aktuellen „Must-haves“ in der Beratung sind und was unsere Kunden wirklich bewegt. In Schulungen und Trainings geht es dann darum, diese Erkenntnisse wirksam in der Beratungspraxis zu übernehmen und umzusetzen. Damit eine mediale Beratung erlebbar wird, braucht es zum Beispiel gute Visualisierungen und das richtige Mindset beim Berater bzw. bei der Beraterin. Mit neuen Konzepten und Formaten bleiben unsere Mitarbeitenden immer up to date.

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Vereinfacht ausgedrückt ist es entscheidend, Menschen für die Idee KSC zu begeistern, sie einzubinden und mit ihnen gemeinsam zu wachsen.

Und die drei Erfolgsfaktoren fürs Kundenservicecenter?

Kerpes: Meines Erachtens gibt es fünf Erfolgsfaktoren: drei, über die man gerne spricht, und zwei weitere. Erstens sind das funktionale und zielführende Prozesse. Diese dürfen nie als statische Größen verstanden werden; ein funktionierendes KSC optimiert die eigenen Prozesse laufend. Zweitens die passende Technik, auch hier gibt es laufend Weiterentwicklungen mit einer hohen Wirksamkeit. Und drittens braucht es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die richtig Lust auf guten und medialen Kundenservice haben.

Ein KSC darf nicht als Verschiebebahnhof für Personalumbau verstanden und gelebt werden, sondern muss so etwas wie der SC Freiburg des Fußballs sein. Der kann sich keine teuren Spieler leisten, hat aber ein super Ausbildungskonzept, um das Team fit zu machen. So bietet ein KSC für alle Mitarbeitenden ein flexibles, modernes und abwechslungsreiches Arbeitsumfeld.

Nun kommen wir zu den beiden Punkten, über die nicht immer gerne gesprochen wird. Vierter Erfolgsfaktor: die positive „Management Attention“. Die ist zentral. Ein erfolgreiches und akzeptiertes KSC baust du niemals ohne Rückendeckung aus dem Management der Bank auf. Hast du das Management an Bord, dann kannst du sehr viel bewegen, ansonsten verpufft das Ganze. Du musst es schaffen, dass das Management den Schmerz aushält, zu sagen, ich muss nicht mehr für jeden Kunden die passende Lösung finden, sondern mir reicht es vollkommen aus, wenn ich für 80 Prozent der Kunden einen super Service anbiete auf Basis von effizienten Standardprozessen.

Fünfter Erfolgsfaktor: die Auswahl der richtigen Projektleitung für den Aufbau. Wichtig ist es, hier mutig zu sein und auf Menschen zu setzen, die ein tiefes Prozessverständnis und eine hohe Affinität für Technik mitbringen. Und vielleicht noch wichtiger: Die Personen müssen für das Thema brennen. Setze ich jemanden darauf an, der bereits jahrelang im stationären Bereich Digitalisierung und Standardisierung als USP der Direktbanken betrachtet hat, sollte ich keine allzu große Hoffnung haben, dass die Person es im neuen Umfeld anders machen wird. Ich sage hier immer „Einstellung schlägt Erfahrung“. Das hat sich häufig bewahrheitet.

Wie werden die richtigen Mitarbeitenden für ein KSC gefunden?

Kerpes: Das ist eben wie beim SC Freiburg im Fußball. Wer nicht viel Geld hat, muss auf Talente, deren Entwicklung und auf ein Image als Karrieresprungbrett setzen. Viele meiner früheren Mitarbeitenden haben sich innerhalb des KSC entwickelt oder sind anschließend in die Beratung gewechselt und haben durch ihre Erfahrungen einen riesigen Benefit in die neuen Einheiten gebracht.

Es geht aber auch immer darum, wie ich mich und das KSC verkaufe: Arbeitszeiten im KSC zwischen 8 und 20 Uhr und zum Teil auch samstags lässt sich als Nachteil erzählen – oder als Arbeitsplatz mit maximaler zeitlicher Flexibilität. Die Herausforderung dabei ist: Daran muss ich auch glauben und es vorleben.

Vereinfacht ausgedrückt ist es entscheidend, Menschen für die Idee KSC zu begeistern, offen zu sein, diese Menschen dann auch einzubinden und mit ihnen gemeinsam zu wachsen. Ich habe immer zu Beginn im Team gesagt: „Wartet mal noch zwei Jahre, dann lacht im Haus niemand mehr über unser kleines KSC.“ So sollte es dann auch kommen. Und der Gedanke hat alle Mitarbeitenden zusätzlich motiviert – mich im Übrigen auch. Ich mag die Geschichte vom kleinen gallischen Dorf, das den Römern die Stirn bietet. Ein gutes KSC genießt mittlerweile in jeder Sparkasse einen hohen Stellenwert. Bis dahin war es aber ein langer Weg.

Und wie lassen sich Mitarbeitende für die mediale Beratung gewinnen?

Mitze: Es braucht auf jeden Fall Mitarbeitende, die sehr offen sind und die gerne neue Wege gehen. Gerade das Thema Videoberatung kann am Anfang für viele eine Hürde darstellen. Die Praxis zeigt jedoch, unsere Kunden sind von dem neuen Beratungsangebot total begeistert. Dieser positive Effekt kommt auch bei den Mitarbeitenden an.

In meinem Team habe ich eine New Work Culture etabliert. Konkret bedeutet dies: kreative Arbeitsansätze, viele Gestaltungsmöglichkeiten und flexible Arbeitszeiten – orientiert an den Bedürfnissen unserer Kunden. Als Führungskraft achte ich darauf, die Mitarbeitenden mitzunehmen, zu begeistern und einen sehr offenen Austausch zu pflegen. Der Teamspirit macht auch die Suche nach neuen Mitarbeitenden einfacher.

Was sollte einem Bankvorstand oder einer Bankvorständin geraten werden, der oder die noch keine mediale Beratung im Angebot hat und diese einführen möchte?

Mitze: Orientieren Sie sich an der Praxis! Tauschen Sie sich mit Banken und Sparkassen aus, die Vorreiter sind. Und: Halten Sie sich nicht starr an einem Konzept fest, sondern handeln Sie rechtzeitig, wenn Sie merken, dass es sich in der Praxis nicht richtig anfühlt. Konsequentes und schnelles Handeln kann ein wahrer Gamechanger sein. Eine ganzheitliche Betrachtung ist hierbei entscheidend. Eine gute mediale Beratung ist immer auch ein gutes Zusammenspiel mit dem stationären Vertrieb.

Und was sollte einem Bankvorstand oder einer Bankvorständin geraten werden, der oder die das Kundenservicecenter schlagkräftiger aufstellen möchte?

Kerpes: Es gehört eine gehörige Portion Pioniergeist und Mut dazu. Die Person sollte von dem Thema auch trotz interner Widerstände überzeugt sein – wenn nicht, dann besser die Finger davon lassen. Das Management und dessen Unterstützung ist gerade am Anfang das A und O. Ein KSC baust du nicht bottom-up auf, sondern immer top-down. Räumt dein Management nicht die Bedenken der ewig Gestrigen aus dem Weg, kämpfst du als KSC gegen Windmühlen.

Wichtig ist außerdem – ich wiederhole mich –, Menschen ins KSC zu holen, die Lust darauf haben, die verändern wollen und auch ein kleines Technikfaible haben. Ebenfalls wichtig: Fehlerkultur. Gerade zu Beginn passieren unheimlich viele kleinere und größere Fehler. In einem KSC sollte man aber Fehler als Chance zum Lernen begreifen und als Teil des stetigen Weiterentwicklungsprozesses etablieren. Auch hier ist es wichtig, dass dieser Gedanke vom Topmanagement mitgetragen wird. Kritik an einem KSC findet sich schnell, sobald Fehler auftreten. Das gilt es aber auszuhalten.

Und zu guter Letzt: Think big, start small. Nach meiner Erfahrung ist es gut, sich erst einmal auf einen Kern zu konzentrieren, auf ein paar Prozesse, um dann zu wachsen. Auf die Sparkasse nebenan zu blicken, die bereits seit Jahren ein KSC hat, und direkt dasselbe zu wollen, hat in den seltensten Fällen geklappt.

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